Gastbeitrag: Das Smartphone als Wunderwaffe beim Fremdsprachenlernen?

Im Zuge der Lehrveranstaltung „Das Smartphone als Kulturzugangsgerät im Fremdsprachenunterricht“ haben sich die Studierenden als Teil der Prüfungsleistung kritisch mit der Frage „Das Smartphone als Wunderwaffe beim Fremdsprachenlernen?“ auseinandergesetzt. So auch Viola Weichbold, deren Beitrag ich an dieser Stelle teilen möchte.

Das Potenzial des Smartphones im Fremdsprachenunterricht reicht vom Einsatz zur Übung und zum Spielen über authentische Sprech- und Schreibanlässe bis hin zur multimodalen Kulturvermittlung. Ist es gerechtfertigt, von einer „Wunderwaffe“ zu sprechen? In der Schulpraxis ist man davon zumindest nicht gänzlich überzeugt, trifft doch das Einbeziehen des Smartphones in den Unterricht noch immer auf gemischte Gefühle (vgl. Bayerlein, 2020, S. 181). Für manche Lehrpersonen ist es gar ein rotes Tuch: Es mag daran liegen, dass es wie kein Medienträger zuvor die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen räumlich, zeitlich und sozial bestimmt und man vor dem Hereinholen von Konflikten, die damit einhergehen, zurückschreckt, oder dass seine vielfältigen Potenziale dem Machtanspruch der Schule entgegenwirken und damit das Gefühl von Kontrollverlust entstehen kann (vgl. Muuß-Merholz, 2015).

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Doch auch in der Fremdsprachendidaktik, die sich seit gut zwei Jahrzehnten mit verschiedenen Formen des MALL (Mobile Assisted Language Learning), dem Mobilen Lernen im Kontext des gesteuerten und ungesteuerten Spracherwerbs, auseinandersetzt (vgl. Abendroth-Timmer & Gerlach, 2021, S. 186), bewahrt man einen kritischen Geist: Immer wieder wird an methodische Grundvoraussetzungen für den erfolgreichen Einsatz des Smartphones im Unterricht erinnert. So wurde beispielsweise von Kukulska-Hulme et al. (2015) ein pädagogisches Rahmenkonzept für das MALL entworfen, das die Perspektiven outcome (Lernertrag), rehearsal (Übungsanteil), inquiry (Anstoß zum forschenden Lernen) und reflection (Reflexion über das eigene Lernen) als zu beachtende Leitlinien der Konzeption von mobilen smartphone-basierten Lerngelegenheiten aufstellt. Stärker auf den konkreten Vorteil von digitalen im Vergleich zu analogen Technologien ausgelegt ist das SAMR-Modell, welches den Nutzen digitaler Medien für die Konzeption von Aufgaben in drei Stufen beschreibt: Ersatz (kein Nutzen), Erweiterung, Modifizierung und Neudefinition von Aufgabenstellungen (vgl. Puentedura, 2006). Beide Modelle heben den funktionalen Charakter digitaler Technologien hervor, indem gefragt wird, inwiefern diese innerhalb von Aufgabenstellungen dem Lernen zuträglich sein können. Es wird auch von einem „Mehrwert“ gesprochen, der nur durch das Abstimmen von technischen Besonderheiten und Aufgabenstellungen auf das Lernziel erreicht werden kann (vgl. Schmidt, 2009, S. 31); der Einsatz soll „nicht zum Selbstzweck“ geschehen, sondern „ausgehend von den Zielsetzungen“ und zur „Verbesserung des Lernens“ (Lehner et al., 2010, S. 233).

In der Fremdsprachendidaktik ist es also ein Gemeinplatz, dass das Smartphone als digitale Technologie keine Wunderwaffe ist; immerhin ist das Wesen eines Wunders ja gerade das „Nicht-Verstehen-wie“. Dennoch hat das Smartphone einige Eigenschaften, die zwar keine Wunder bewirken, jedoch speziell im modernen Fremdsprachenunterricht wunder-bar zur Verwirklichung didaktischer Grundprinzipien genützt werden können.

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Als wichtigstes Prinzip ist die Kommunikationsorientierung zu nennen, die seit den 1970er Jahren ein Paradigma des modernen Fremdsprachenunterrichts ist und kognitivistische bzw. durch spätere Erweiterungen auch konstruktivistische Grundierung aufweist (vgl. Abendroth-Timmer & Gerlach, 2021, S. 127). Das Smartphone ist der Schlüssel zu einem sich ständig erweiternden multimedialen und -modalen Pool an zielsprachlichen Inhalten wie Artikel, Blogs, YouTube-Videos oder Podcasts, die im Unterricht zur authentischen Situierung von Sprachhandlungen gemacht werden können. Der Sinn von rezeptiven Fertigkeiten wird für die Lernenden somit unmittelbar erlebbar; umgekehrt erlauben die Partizipationsmöglichkeiten des Internets, Produkte der Lernenden für andere verfügbar zu machen und damit in eine kommunikativ-funktionale Sprachhandlung zu verwandeln. Neben diesen zeitlich zerdehnten Kommunikationssituationen sind aber auch Formen des direkten mündlichen Austausches über Voice-Chats oder Skype denkbar, wenn Tandemprojekte über den Unterricht initiiert werden (vgl. Bayerlein, 2020, S. 196; vgl. Bechtel, 2019, S. 27). In beiden Bereichen tun sich aufgrund des Kontakts mit zielsprachlicher Kultur Gelegenheiten zum interkulturellen Lernen auf, womit ein weiteres Prinzip der modernen Fremdsprachendidaktik angesprochen ist. Ein Feld, das in der Zukunft vielfältige Kontexte für kommunikative Handlungen bieten könnte, sind Spiele. Angesichts der Masse an bereits bestehenden „Lernspielen“ auf behavioristischer Grundlage, die zurecht als „mit Schokolade überzogener Brokkoli“ bezeichnet werden können, weil sie Grammatik oder Wortschatz losgelöst vom Kontext trainieren und für das Erreichen des Spielziels keine Kommunikation erfordern (Gabriel, 2016, S. 8) besteht noch Entwicklungspotenzial für Spiele am Smartphone in Richtung kommunikativer Immersion, die bisher verstärkt in komplexen Multiplayer-online-Rollenspielen existiert.

Ein weiterer Bereich, in dem das Smartphone den Lernprozess optimieren kann, ist beim selbstgesteuerte Lernen im Sinne der konstruktivistischen Lerntheorie. Es bieten sich Tools an, um das Lernen zu planen, daran im Sinne des Nudgings erinnert zu werden (vgl. Bayerlein, 2020, S. 195) und um den Fortschritt zu dokumentieren bzw. darauf auch individuelles Feedback zu erhalten, das zeit- und ortsunabhängig angehört/angeschaut werden kann (vgl. Wengler, 2020). Zudem erlaubt der orts- und zeitunabhängige Zugriff auf ein wachsendes Angebot an Übungsmaterialien das gezielte selbstgesteuerte Üben von Wortschatz oder Grammatikphänomenen (vgl. Bechtel, 2019, S. 27).

Bei dieser Vielfalt an Ressourcen und Tools wird aber auch deutlich, dass sich die Lehrperson neuen Herausforderungen gegenübergestellt sieht. Denn das Meer an authentischen Dokumenten, Übungsmaterialien und Organisationstools ergibt nicht automatisch ein qualitätsvolles Lernangebot. Dafür ist es nötig, Auswahlentscheidungen zu treffen, didaktische Vor- und Nachbereitungs- sowie Begleitmaßnahmen zu konzipieren, geeignete Sprachkontakte zu initiieren und im Sinne der Selbststeuerung den Lernenden Strategien an die Hand zu geben, um selbst lernzielorientiert in diesem Meer zu navigieren (Bechtel, 2019, S. 25ff). Als Lohn für die Bewältigung dieser Herausforderungen winken authentische, sinnstiftende Kommunikationserlebnisse der Lernenden mit allen kognitionspsychologischen und motivationspsychologischen Positiveffekten, die damit einhergehen.

Quellen

  • Abendroth-Timmer, D., & Gerlach, D. (2021). Handlungsorientierung im Fremdsprachenunterricht: Eine Einführung. J.B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05826-3
  • Bayerlein, O. (2020). Smartphones im Sprachunterricht. Ein Einblick und Ausblick. In S. Regier, K. Regier, & M. Zellner (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre (S. 179–203). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_9
  • Bechtel, M. (2019). Zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht. In E. Burwitz-Melzer, C. Riemer, & L. Schmelter (Hrsg.), Das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen im digitalen Wandel: Arbeitspapiere der 39. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts (S. 24–33). Narr Francke Attempto.
  • Gabriel, S. (2016). Spielend Fremdsprachen lernen – Wie können digitale Spiele den Fremdsprachenerwerb unterstützen?: Eine kurze Übersicht über den derzeitigen Stand der Forschung. Mediales Lernen/Lehren im Fremdsprachenunterricht/beim Spracherwerb. https://doi.org/10.21243/MEDIENIMPULSE.2016.4.973
  • Kukulska-Hulme, A., Norris, L., & Donohue, J. (2015). Mobile pedagogy for English language teaching: A guide for teachers.
  • Lehner, F., Siegel, B., Müller, C., & Polleti, A. (2010). E-Learning beim Fremdsprachenerwerb: Ergebnisse einer Bedarfsanalyse und Konzeption eines mobilen Sprachlernangebotes. In M. H. Breitner, F. Lehner, J. Staff, & U. Winand (Hrsg.), E-Learning 2010 (S. 231–248). Physica-Verlag HD. https://doi.org/10.1007/978-3-7908-2355-4_16
  • Muuß-Merholz, J. (2015). Schule in der Digitalen Gesellschaft: Warum wir neu lernen müssen. LOG IN-Informatische Bildung und Computer in der Schule, 180.
  • Puentedura, R. R. (2006). Transformation, Technology, and Education. http://hippasus.com/resources/tte/
  • Schmidt, T. (2009). Mündliche Lernertexte auf der 2.0-Bühne–Mediale Inszenierungen im Englischunterricht am Beispiel eines Schulpodcast-Projekts. 1(1), 24–42.
  • Wengler, J. (2020). Fehlerkorrektur 2.0 – Effektiv und effizient korrigieren mit Feedbackvideos. Französisch heute, 51(3), 28–31.

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