Digitalisierung ist so eines der beliebtesten Schlagworte zurzeit. Wahrscheinlich sogar das beliebteste. So ein richtiges Buzzword. Alle sprechen davon, aber niemand weiß genau, was damit gemeint ist. Ist Ihnen dieser Beitrag zu pauschal?
Ja, so ist auch die Diskussion über Digitalisierung. In unterschiedlichen Kontexten heißt Digitalisierung was Unterschiedliches. Wenn wir den Blick aus der Schule auf die Digitalisierung lenken, so denken wir zunächst an Interactive Whiteboards, Smartphones und Tablets. Also an digitale Medien, die zum Lehren und Lernen eingesetzt werden. Unterricht kann aber nicht digital sein. Die Realisierungsform der Medien kann digital sein, die eingesetzten Medien können digital sein. Aber das Lernen und Lehren sind nicht digital.
Auf einer anderen Seite denken wir aber auch an unsere Schüler/innen, die wir mit Kompetenzen ausstatten müssen, die wir selbst erst ausbilden müssen, Kompetenzen, von denen wir nicht mal wissen, dass sie in Zukunft relevant sein werden. Wir bereiten die Schüler*innen oft auf Berufsfelder vor, die gestern aktuell waren. Wir sollten sie auf Berufe vorbereiten, von denen wir nicht mal wissen, dass es sie geben wird. Wer hätte vor 20 Jahren daran gedacht, dass man mit YouTube-Videos (Was ist eigentlich YouTube?) Geld verdienen kann? Dass Social Media-Marketing eine zentrale Rolle spielt? Dass Online- und Offline-Handel verschränkt sein werden – der Versand- und der traditionelle Handel ineinander greifen (Click & Collect als Schlagwort)?
Es gibt Berufe, die sich wegdigitalisieren lassen. Der Job Futuromat gibt uns darüber Auskunft. Im Zuge seiner Keynote Industrie 4.0 / Wirtschaft 4.0: Eine Herausforderung für alle Bereiche der Berufsbildung hat Karl Wilbers Roboter in der Pflege genannt, über Digitalisierung gesprochen und als eine überspitzte Formulierung genannt: Männer lassen sich leichter wegdigitalisieren als Frauen. Die Aussage beruht auf einer Analyse von Berufsfeldern, die sich leichter „digitalisieren“ lassen und andere, bei denen es schwerer geht. Pflegeberufe, Erzieher*innen und Lehrende lassen sich schwerer wegdigitalisieren als Bereiche, in denen Routinehandlungen ausgeführt werden. Das heiße aber nicht, dass vor allem die Helferebene Angst haben müsse. Dies ziehe sich durch alle Ebenen. Eine sehr runde Keynote, die kritisch und reflektiert an das Thema Digitalisierung herangeht. Ohne Verherrlichung, ohne Dämonisierung, einfach erfrischend.
Da ich auf diesem Vernetzungstreffen zu digi.kompP, QIBB und Fremdsprachenlernen sprechen darf, lege ich die Erkenntnisse auf das Sprachenlernen und -lehren um. Und dabei greife ich auf den gestrigen Blogpost und die beschriebene Fehlerkultur zurück. Automatisierte Mails und Standardfloskeln lassen sich sicherlich durch Übersetzungsprogramme abdecken. Auch Chatbots werden beim Sprachenlernen eine Rolle spielen. Sprache ist aber lebendig, es geht um das Aushandeln, es geht um interkulturelle Kompetenzen und um das Aufeinander-Reagieren. Dabei können auch Ironie, Sarkasmus und ein gewisses Augenzwinkern im Spiel sein. Wenn Fehler und Missverständnisse auftreten, ändert sich der Kontext. Ein Plan B muss in Betracht gezogen werden. Vielleicht auch ein Plan C oder ein Plan D. Ein Algorithmus ist vielleicht nur wenig hilfreich. Wichtig erscheint also, das aktive Sprachhandeln zu trainieren, den Lernenden Freude am Lebenslangen Lernen zu vermitteln, ihnen Möglichkeiten des Lebenslangen Lernens aufzuzeigen. Es geht nicht um das Lernen für die Schule, sondern das Leben. Non scholae sed vitae discimus. Ein altbewährter und noch immer gültiger Ausspruch.
Werden Fremdsprachenkenntnisse bald überflüssig, weil computergestützte Übersetzungen immer besser werden?
Die Frage ist, wie man Fremdsprachenkenntnisse definiert: Wenn es um formelhafte Geschäftsbriefe oder Anleitungen geht, so hat man sich auch im analogen Zeitalter schon auf Referenzbücher und Vokabellisten „verlassen“ bzw. diese Phrasen automatisiert. Auch in der schriftlich-neutralen Korrespondenz funktionieren computergestützte Übersetzungen gut. Und es ist sicherlich korrekt, dass computergestützte Übersetzungen immer genauer und zuverlässiger werden. Den Faktor Mensch werden sie aber so schnell nicht ersetzen können. Denken Sie an Ironie, Sarkasmus oder auch an interkulturelle Aspekte, wenn es um Verhandlungen geht. Auch Menschen haben mitunter Probleme, versteckte ironische Hinweise, sarkastische Anmerkungen und Anspielungen auf einen (gemeinsamen) kulturellen Kontext zu erkennen, zu deuten und angemessen darauf zu reagieren. Wie agiert man beispielsweise in einem bestimmten Sprachraum in einem Gespräch? Darf man das Gegenüber unterbrechen? Wenn dann auch noch Wortwitze oder Emotionen hinzukommen, die Stimmmelodie sich verändert oder verschiedene Register eine Rolle spielen, man sogenanntes Code Switching betreiben sollte (es spielt ja eine Rolle, ob ich mit meinen Freundinnen und Freunden oder meinen Lehrerinnen und Lehrern spreche), dann ist der Computer noch lange kein Ersatz. Es gibt Ansätze in diese Richtung, die aber noch in den Kinderschuhen stecken.
Wichtig im schulischen Kontext scheint es, den Schülerinnen und Schülern mündliche Kompetenz zu vermitteln, die sie zu Sprachhandelnden macht. Im schriftlichen Kontext ist es wichtig, die Existenz und Möglichkeiten computerunterstützter Übersetzungen nicht zu negieren, sondern die Lerner/innen vielmehr darauf zu sensibilisieren, die Übersetzungen auch richtig zu wählen Doppeldeutige Wörter richtig zu verwenden, Synonyme zu finden und auch Sprichwörter nicht wortwörtlich zu nehmen.