Sprache entwickeln, Sprache erleben und Sprache lehren

Das österreichische Klassenzimmer der Zweiten Lebenden Fremdsprachen im 21. Jahrhundert an BHS und AHS. Eine Nachlese.

Mitte September fand in Wien der 4. Tag der Zweiten Lebenden Fremdsprachen statt, der sich zum Ziel gesetzt hatte, das Sprachenlernen und -lehren im 21. Jahrhundert in den Blick zu nehmen. Das Programm war abwechslungsreich und dicht:

  • Sprache erleben als LehrerIn im Klassenzimmer des 21. Jahrhunderts Mag. Flora Varga (Universität Wien); Supervisorin & Coach, AHS-Lehrerin, Zentrum für LehrerInnenbildung (Schulpraktische Ausbildung & MentorInnenausbildung)
  • Fremde Länder, fremde Sitten: Humor ist, wenn man trotzdem lacht
    Mag. Dr. Martina Gaisch
    (FH Oberösterreich); Diversitätsmanagement, Frauen im MINT, Third Mission, Bildungssoziologie, Soziolinguistik, Hochschulforschung
  • Unterrichtsbegleitende eTandems: Authentische Kommunikation durch virtuellen Austausch mit Peers im Unterricht zweiter Fremdsprachen
    Assoz. Prof. Mag. Dr. Michaela Rückl (Universität Salzburg); Romanistik, Forschungsschwerpunkte Fremdsprachenerwerb, Didaktik der romanischen Sprachen, Mehrsprachigkeitsdidaktik, Hochschuldidaktik u.v.a.
  • Sprachen bringen’s lebensbegleitend. Wider das Vergessen von Fremdsprachen
    Univ. Prof. Dr. Eva Vetter, Stefanie Cajka BA MA, Paulina Wagner BEd, Nikolay Slavkov Ph.D. MA BA (Universität Wien, Zentrum für LehrerInnenbildung, Sprachlehr- und Lernforschung)
  • Kommunikationsfähigkeit fördern und beurteilen – die „Tandemprüfung“
    Mag. Belinda Steinhuber MA (CEBS); Leiterin Ressort für Sprachpädagogik, CEBS; Center für berufsbezogene Sprachen des BMBWF
  • Sprachenlernen zwischen, mit und durch Artificial Intelligence und Social Media: ein Blick in den Möglichkeitsraum
    Ass. Prof. Mag. Mag. Dr. Elke Höfler (Universität Graz); Mediendidaktik und Sprachendidaktik (Schwerpunkt romanische Sprachen)

Die zentrale Frage, die sich wie ein roter Faden durch den Tag zog, war eine einfache und dennoch schwierige: Wie können wir die Liebe zur zweiten lebenden Fremdsprache und zum Lernen eben dieser wecken?

Quelle: Pixabay

Englisch als lebende Fremdsprache kommt uns in der Freizeit immer wieder unter – im Radio, auf Spotify, auf TikTok, auf Instagram, auf YouTube, bei Recherchen im Internet. Mit der englischen Sprache auch außerhalb der Schule und dem Englischunterricht in Kontakt zu kommen, ist nicht soooo schwer. Bei den zweiten lebenden Fremdsprachen ist das ein wenig schwieriger. Viele Influencer:innen posten auf Englisch, um eine größere Reichweite zu haben, viele Bands singen auf Englisch, Hollywood liegt in den USA. Das ist natürlich stark verkürzt dargestellt und es gibt natürlich Möglichkeiten, das ist schon klar. Dennoch sind die zweiten lebenden Fremdsprachen weniger zugänglich.

Mit nur wenigen (zwei oder drei) Wochenstunden ist auch in der Schule, sowohl in AHS als auch in BHS, nur wenig Zeit, die jeweilige Fremdsprache zu vertiefen. Umso wichtiger ist es, die Liebe zur Sprache zu wecken und den Schüler:innen zusätzliche Möglichkeiten zu bieten, mit der Fremdsprache in Kontakt zu kommen. Ich durfte auf dieser Veranstaltung den letzten Beitrag beisteuern:

Sprachenlernen zwischen, mit und durch Artificial Intelligence und Social Media: ein Blick in den Möglichkeitsraum.

Der Titel ist ein wenig klobig und stilistisch auch nicht ganz sauber. Das ist mir beim Ausarbeiten auch aufgefallen. Und wahrscheinlich fehlt auch ein „trotz“ – wenn man Gerhard Brandhofers Beiträgen folgt, dann sind die Präpositionen mit, durch, über und trotz im Kontext der Bildung unter den Bedingungen der Digitalität einer Betrachtung wert. Was mein Titel vielleicht vermuten lässt, wäre eine SWOT-Analyse zu Artificial Intelligence bzw. Social Media und Sprachenlernen. Das stand mir eigentlich fern. Was ich mir überlegt habe, sind die Möglichkeiten, die sich durch diese beiden Technologien auftun, was mit diesen mitgeliefert wird und welche Herausforderungen sich damit ergeben. Ein Beispiel: Wir haben dank Social Media Zugriff auf höchst authentisches Material für den Sprachunterricht. Gleichzeitig haben wir mit einer veränderten Sprache zu tun: konzeptionelle Mündlichkeit, die schriftlich (in Beiträgen und Kommentaren) präsentiert wird und Umgangssprache, die sich breit macht. Für den Sprachunterricht eine Herausforderung und gleichzeitig eine Chance, denn der Schock des ersten authentischen Sprachkontakts wird minimiert. Man stelle sich eine:n Deutschlernende:n vor, der das erste Mal in der Steiermark ist, da kann schnell das Gefühl aufkommen, man habe die Sprache in der Schule gar nicht gelernt (Stichwort: Ambigitätstoleranz). Durch Social Media ist der Kontakt mit der Nicht-Standardsprache möglich, es ist aber gleichzeitig auch wichtig, auf die Fehler aufmerksam zu machen, damit diese nicht übernommen werden. Das ist spannend, bedarf aber Zeit, die man in den wenigen Wochenstunden kaum hat. Soll man den Schüler:innen Influencer:innen als Möglichkeit des Sprachkontakts nun vorschlagen oder nicht? Eine pauschale Antwort ist nicht möglich, ein Blick in den Möglichkeitsraum schon. Die Entscheidung ist von der Lehrperson in Abhängigkeit von Lehr- und Lernzielen und von der Lernendengruppe und deren Bedürfnissen zu treffen. Das Phänomen Influencer:innen im Sprachuntericht zu besprechen erscheint aber, vor allem auch in Fortführung der Ziele der Digitalen Grundbildung, ganz wichtig – falsche Vorbilder („Positivkultur“ nach Andreas Reckwitz), oberflächliches Storytelling („Storytelling als Storyselling“ nach Byung-Chul Han), Filterblase und Echokammer („Algorithmizität“ nach Felix Stalder) sind drei Bereiche, die im Sprachunterricht thematisiert werden könn(t)en.

Gleichzeitig ist die Sprache im Netz auch durch Ökonomietendenzen geprägt und um Bildelemente, wie Emojis, ergänzt, die interkulturell eine Herausforderung darstellen können, weil sie je nach Kultur eine andere Bedeutung übernehmen können. Eine Chance und gleichzeitig Herausforderung in der Ausbildung interkultureller Kompetenz. Aber auch für interaktionales Handeln, denn Emojis nehmen ebenfalls Einfluss auf die Wahrnehmung von Personen. Auch darüber könnten wir nachdenken… Ein weiteres Puzzlestein im Möglichkeitsraum.

Quelle: Pixabay

Auch Anwendungen, die auf Artificial Intelligence basieren, wie ChatGPT, stellen für die Sprache eine Herausforderung dar. Nicht nur, dass Texte generiert oder übersetzt werden können, das ist hinlänglich bekannt. Wir sollten auch darüber nachdenken, dass ChatGPT auf Basis von Wahrscheinlichkeiten arbeitet und Wörter aneinanderreiht, die in dieser Reihenfolge im Trainingsdatensatz (den wir nicht kennen) wahrscheinlich auftreten (Prompting will auch gelernt sein). Was macht das mit unserer Sprache und unwahrscheinlichen Kombinationen, die die Sprache produktiv halten? Wird es in Zukunft keine Neologismen mehr geben? Wird es keine kreativen „Verschreiber“ mehr geben, die für Ahs und Ohs und Schmunzler sorgen? Was bedeutet Artificial Intelligence für Sprachen allgemein? Welche Sprachen werden bevorzugt und gefüttert, welche werden vernachlässigt und welche übersetzt?? Wie ist die Sprachzusammensetzung im Trainingsdatensatz und wo lässt sich ein Bias erkennen? Und welchen Einfluss nimmt der Bias auf die lernende AI? Eine Frage des lernenden Bias und des Bias beim Lernen tut sich auf. Ergibt sich ein Language Divide?

Ich habe keine Antwort auf diese Frage. Ich blicke in meinem Beitrag nur in den Möglichkeitsraum. Mir fehlt die Glaskugel und auch Evidenz, um gesicherte Aussagen treffen zu können. Ich kann vermuten und mögliche Entwicklungen aufzeigen. Das habe ich in meinem Beitrag versucht.

Die Beiträge vor mir

In meinem Beitrag konnte ich dabei auf die anderen Beiträge zurückgreifen und auf diese verweisen.

Martina Gaisch hatte in ihrem Beitrag Humor und interkulturelle Kommunikation zusammengeführt. Michaela Rückl von einem Projekt erzählt, das die Schüler:innen zum Sprechen bringt: Sprachtandems. Waren sie früher noch eher umständlich zu organisieren, so fällt dies heute über Plattformen wie eTwinning oder ePals relativ leicht. Ich verweise an dieser Stelle auch immer gerne auf Mystery Skype (inkl. Anleitung), das auch spannende Kontakte und Einblicke sowie authentische Sprachverwendung bringen kann. Michaela Rückl verwies dabei auch darauf, dass es neuer Prüfungsformen im Kontext von Kommunikationen und Sprechen bedürfe und dass das Verwenden von KI reflektiert sein sollte. Sie verwies dabei auf Thomas Strasser (exemplarisch eine Keynote, ein Unterrichtsbeispiel für Englisch und ein Blogbeitrag) und das Institut für zeitgemäße Prüfungskultur (siehe auch die Community-Beiträge).

Quelle: Pixabay

Was gefällt Ihnen besser: lebenslängliches oder lebenslanges Lernen? Eine spannende Frage am Beginn des Beitrags von Eva Vetter, Stefanie Cajka und Paulina Wagner. Sie nahmen uns in ihrem Beitrag mit in die Digital Wilds und auf Desire Lines. Zunächst aber zeigten sie uns A dynamic usage based approach mit all seinen Implikationen für den Sprachunterricht. Wörter werden in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich betont und haben damit eine andere Bedeutung. Pauschalitäten sind beim Sprachenlernen immer schwierig. Sprache ist nicht immer A, sondern manchmal auch B. Mit Sprache kommt man auch in unterschiedlichen Kontexten in Berührung – so ist es wichtig, die Schüler:innen (oder Lerner:innen allgemein) auch auf die Wildnis vorzubereiten: Designing for Language Learning in the Wild: Creating social infrastructures for second language learning. Wir nehmen im Alltag nicht immer die offiziellen Wege, manchmal sind es auch Trampelpfade oder desire lines (bzw. desire paths). Diese sind besonders im Kontext der Digital Wilds interessant und relevant. Wo kann man Sprachen lernen? Wo begegnen wir Sprache? In welchen Kontexten wünscht man sich, eine Sprache (besser) zu lernen? Wo wird das Interesse an einer Sprache geweckt. Ziel des Beitrags war u.a., uns. Möglichkeiten des informellen und lebenslangen Lernens einer Sprache zu zeigen – und das eben auch in den und mithilfe der digital wilds. Welche Trampelpfade erschließen wir uns beim Sprachenlernen und wie lassen sich diese in den Unterricht integrieren (so wie Trampelpfade auch eine Rolle in der Stadtplanung spielen können)? Dieser Frage widmeten sich die Anwesenden in Gruppenarbeiten und einige spannende Webseiten und Applikationen wurden genannt, die den Schüler:innen zusätzliche Möglichkeiten beim Sprachenlernen bieten können und sollen.

Genannte Methoden und Applikationen

Hier eine kurze, unvollständige Liste, da so viel und schnell präsentiert wurde, dass ich nicht alles notieren konnte…

Interessant war auch die Diskussion um Lieder im Unterricht. So ist spanischsprachige Musik beispielsweise oft mit Sommer und guter Laune konnotiert, sieht man sich die Texte aber an, ist man manchmal schockiert. Beispielsweise bei Despacito. Französischer Rap ist sehr beliebt, aber kaum verständlich. Måneskin hat von Italienisch auf Englisch geswitched.

Zusätzlich wäre sicherlich noch zu nennen:

Belinda Steinhuber zeigt in ihrem Beitrag schließlich die Tandemprüfung als Möglichkeit für AHS UND BHS auf. In Österreich ist bei der mündlichen Reife- und Diplomprüfung das Prüfungsgespräch zwischen Lehrer:in & Schüler:in oder Schüler:in & Schüler:in möglich. In ihrem Beitrag ließ die Referentin die Vor- und Nachteile diskutieren und zeigte Möglichkeiten auf. Zudem verwies sie auf das zahlreich erprobte Material am CEBS (Stichwort: Wegweiser Tandemprüfung), dem Center für berufsbezogene Sprachen des BMBWF. Auf die Frage, warum die Vorgaben und Aufträge in den Wegweiserbeispielen teilweise auf Deutsch sind, erklärte Belinda Steinhuber, dass die Schüler:innen so Sprache selbst produzieren können. Wir geben ihnen keine Vokabel vor, die sie schon können (Stichwort: Mediation). Außerdem verwenden sie sonst hauptsächlich das Vokabular aus dem Auftrag.

Hier möchte ich einige Beispiele der Materialsammlung des CEBS & des ÖSZ, die ich selbst sehr schätze, nennen:

Belinda Steinhuber unterstrich die Wichtigkeit der Mündlichkeit für das zukünftige Sprachenlernen: Man müsse die mündliche Kompetenz besonders forcieren und hier einen Schwerpunkt setzen (!), denn Sprache ist kommunikatives Handeln und beim Schreiben kann AI auch gut helfen. Das ließ mich auch daran denken, dass Baacke Medienkompetenz mit dem kommunikativen Handeln verglich und dieser Gedanke begleitete mich den Rest des Tages. Will man helfen, dass sich die Schüler:innen zu mündigen Bürger:innen entwickeln, so stellt sich die Frage, ob man sie bei einer Prüfung beispielsweise ein Radioprogramm planen lässt (Frage der Lebenswelt) oder eine Podcast-Reihe. Hören Schüler:innen noch Radio und wissen sie, was wirklich Teil einer Sendung ist? Baacke würde hier mit der Medienkunde und der Mediennutzung argumentieren. Gedanken, die ich noch zu Ende denken möchte.

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