Wie schön Sprache sein kann, übersehen oder vergessen wir gerne mal. Dabei ist der gemeinsame Code so wichtig.
Als Kinder lernen wir eine (oder mehrere) Erstsprache(n), früher auch Muttersprache genannt, trainieren diese immer weiter, bis wir sie automatisiert verwenden können. Wir überlegen nicht mehr, welchen Fall wir benutzen, ob wir einen Beistrich setzen müssen oder wie wir ein Wort aussprechen.
Fehler passieren, manchmal sorgen sie für Lacher, manchmal für große Augen. Durch die Automatisierung verlernen wir jedoch auch, über Sprache nachzudenken. Wir erfreuen uns nicht mehr an den kleinen sprachlichen Ungenauigkeiten oder Doppeldeutigkeiten. Sprache ist für uns ein Medium. Dabei ist Sprache ein Code, über dessen Bedeutung wir uns erst dann Gedanken machen, wenn „etwas passiert“.
Ein Missverständnis zum Beispiel, oder uns kommt ein Wort unter, das wir schon lang nicht mehr gehört haben oder das uns gänzlich neu ist. Mir ist es bei den Jugendwörtern so gegangen – einiges davon kenne ich aus meiner Jugend und bin überrascht, dass es jetzt wieder aktuell ist (wie beispielsweise reidig und ranzig im Jahr 2016).
Ich fand aber auch das Beispiel des Business Talks sehr interessant, bis ich mir habe bestätigen lassen, dass derartige Sätze in Business Meetings wirklich vorkommen. Dann war die Sammlung der Sprüche wieder sehr lustig:
Oder ein Beispiel aus dem Französischen, das zeigt, wie dynamisch eine Sprache ist und dass gewisse Wörter im Laufe der Zeit ihre Bedeutung ändern. So heißt „j’avoue“ heute „ich gestehe“, aber in seiner ursprünglichen Bedeutung war es ein reines „ich denke“. Der Unterschied in der Aussage ist groß.
Wie auch bei den Jugendwörtern schon betont, ist gerade der diaphasische bzw. diastratische Aspekt einer Sprache wichtig. Ein paar spannende Beispiele aus dem Französischen, die auch wieder verdeutlichen, dass die Sprache, die in den Schulen gelehrt wird, nicht jene Sprache ist, die auch gesprochen wird. Oder eben nur Teile davon:
Verhörer
Kennen Sie das? Sie hören ein Lied einfach so nebenbei und dann kommt da eine Textstelle, die sich seltsam anhört? Sie hören plötzlich deutsche Elemente im Englischen oder umgekehrt. Oder es gibt plötzlich eine Zeile, die überhaupt keinen Sinn macht. Hier hätten Sie ein derartiges Missverständnis, auf das Sie reagieren.
Das Beispiel nennt sich übrigens Agathe Bauer und es gibt dafür zahlreiche Beispiele – hier eine Reise zurück in die 90er:
Viel interessanter aber ist es, wenn man Lieder hört und vermeintlich einen Sinn dahinter sieht, der aber eigentlich gar nicht da ist. Every breath you take von Police kennen Sie vielleicht. Es wird gerne auf Hochzeiten gespielt:
Nun, das Lied ist aber aus der Perspektive eines Stalkers zu hören. Von Liebesgeschichte sind wir da ein wenig entfernt. Auch von diesen falsch verstandenen Liedern gibt es so manches Beispiel.
Sprache als Ausdruck einer Kultur
Manchmal aber sind die Unterschiede der Sprache viel subtiler als gedacht und man muss Insider sein, um die Unterschiede zu erkennen. Gern genommenes Beispiel: Oida im (nicht nur) Wienerischen:
Und auch der Wienerische Charme muss bekannt sein, sonst könnte es zu Missverständnissen kommen:
Sprachenlernen
In unserem Kopf passiert aber auch etwas, wenn wir eine neue Sprache lernen. Missverständnisse sind beim Sprachenlernen ganz normal – ich gehe soweit zu sagen, dass Missverständnisse beim Sprechen normal sind. Wir können Sprachen nebenbei lernen, wenn wir uns dem sprachlichen Input aussetzen. Unser Gehirn leistet dabei Besonderes – probieren wir doch mal diesen Artikel zu lesen. Wenn Sie Französisch und Englisch lesen können, ist das überhaupt kein Problem. Das Gehirn switcht zwischen den beiden Sprachen hin und her.
Wichtig ist dabei, dass die Sprache, die wir im Begriff sind zu lernen, eine sich entwickelnde Sprache ist, die – so Larry Selinker in seiner Interlanguage Hypothese – beim Lernen auf die Erstsprache(n) der Lernenden ebenso zurückgreift, wie auf bereits gelernte Zweit- oder Drittsprachen. Um das entstehende sprachliche System weiterzuentwickeln, bedarf es Input und Interaktion.
Dem Ansatz Tönshoffs folgend, wählen wir aus dem vorhandenen Input immer nur einen Teil aus, das sogenannte Intake, und ziehen diesen Teil für unseren Output heran. Ob dieser Output dann korrekt ist (oder nicht) überprüfen wird durch u.a. Interaktion mit Expert*innen oder Mitlernenden, Büchern oder anderen Medien. Voraussetzung ist, ganz verkürzt gesagt, dass wir ein sprachliches System, d.h. die Erstsprache, ausbilden und als System neuronal etablieren, denn auf dieses neuronale System setzen die übrigen Interlanguages auf.
Deshalb, und nicht nur deshalb, sollte(n) die Erstsprache(n) der Lernenden berücksichtigt werden und Missverständnisse als Chance gesehen.