Ich habe viele Studierende mit großartigen Ideen, die ich auch gerne mal um einen Gastbeitrag für meinen Blog bitte. So beispielsweise Leonardo Franzinelli aus dem letzten Semester, der zwei wirklich schöne Aktivierungsübungen erstellt hat und sie uns unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA zur Verfügung stellt.
Zweites Aktivierungsspiel: Kontroverse Statements
Das Szenario ist bekannt: Im Zuge eines Wahlkampfs lädt ein Sender alle Spitzenkandidat*innen ein, und bittet sie für einen kurzen Abschnitt Fragen nur mit einem zweiseitigen Schild zu beantworten, welches mit „Ja“ und „Nein“ bedruckt ist. Die Moderator*innen akzeptieren hier kein „Vielleicht“, kein Vorbeireden und keine langgezogene Ausrede. Wenn es Meinungsverschiedenheit oder interessante Stellungen gibt, dann folgt ein „Erklären Sie Ihren Standpunkt, doch bitte nur ein Satz.“ Das Konzept, das womöglich bloß Sendezeit spart, hat jedoch auch seinen Platz im Unterricht.
07:45 Uhr. Die Klasse befindet sich im Halbschlaf und macht es sich in den Sitzen gemütlich. Sprachenunterricht muss jedoch aufgeweckt sein. Was kann wachrütteln: Kognitive Aktivierung? Bestimmt. Bewegung? Auf jeden Fall. Ein kontroverses Streitgespräch? Absolut. Die Lehrperson bittet die Lernenden aufzustehen, und teilt symbolisch das Klassenzimmer in zwei Hälften: „Ich stimme zu“ – „Ich stimme nicht zu“.
Was nun folgt orientiert, sich am politischen Beispiel von vorhin. Statt Schilder einzusetzen, bietet jedoch das Klassenzimmer selbst die Möglichkeit zum Ausdruck der jeweiligen Positionierungen. Die Lehrperson präsentiert nun Statements, die zweifelsohne Meinungen erregen. Stimmt man zu, bewegt man sich nach links. Teilt man die Meinung nicht, bewegt man sich nach rechts. Statements können entweder so kontrovers sein, dass Meinungsverschiedenheit prädestiniert ist („Hunde sind besser als Katzen.“) oder so konfliktfrei, dass sicherlich Konsens besteht („Es sollte längere Ferien geben.“). Wichtig sind im Endeffekt schlichtweg das Nachdenken, das Bewegen und das Sprechen. Sprechen, weil die Lehrperson schließlich aus den beiden Lagern Lernende nominiert, die in einem Satz ihre Stellung präsentieren (Phrasen à la „Ich stimme der Meinung absolut zu“ werden natürlich angesichts der mündlichen Matura bereitgestellt) und ihre Stellung verteidigen („weil Hunde viel süßer sind“). Spontanes Argumentieren und flexibles Positionieren innerhalb einer Debatte greifen hier auf das vorherige Aktivierungsspiel zurück – sind darüber hinaus noch aufweckend, lebendig und dynamisch.
Wichtig ist, dass die Statements nicht überpolitisch, überpersönlich und unmoralisch sind, sondern schlichtweg einen Meinungsaustausch innerhalb eines freundlichen Klimas erregen (eventuell müsste man hier „Hunde vs. Katzen“ nochmal überdenken). Neben der Aktivierung und der mündlichen Übung hat das Spiel jedoch auch einen pädagogischen Vorteil: Respekt und Verständnis für Meinungsverschiedenheit. Zwei Lernende mögen sich vielleicht beim Thema Musik uneinig sein, doch sie teilen dieselbe Meinung, wenn es um Bücher vs. Filme geht. Die Klasse trennt sich vielleicht beim Thema Fußball, doch findet sie Einklang in der Umweltdebatte. Während das eine Thema zwei Lernende also in entgegengesetzte Weltbilder aufteilt, stehen genau jene beim nächsten Statement auf derselben Seite. Eventuell wird nicht nur gezeigt, dass Gegensätzlichkeit zu tolerieren, sondern auch nützlich für erfolgreichen Diskurs ist. Immerhin hat man in der mündlichen Matura eine Entscheidung zu treffen: Füllt man die 8 Minuten Redezeit im Dialog eher mit einem „Ich stimm‘ dir zu, also kann ich nichts weiteres dazu sagen“ oder mit tobender Meinungsverschiedenheit?
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