Im Studium lernt man allerlei Dinge, von denen man überzeugt ist: Die brauch ich nie wieder. Doch erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.
Ich bin Fach- und Mediendidaktikerin – das ist bekannt. Ich bin’s aber eigentlich nicht, denn eigentlich bin ich promovierte Literaturwissenschaftlerin. Und ganz eigentlich habe ich meine ersten Versuche an der Universität in der Sprachwissenschaft gemacht. Sprachgeschichte und Varietätenlinguistik faszinieren mich auch heute noch. Mein Hang zu alter Literatur – altfranzösische und altitalienische bevorzugt – ist jenen bekannt, die mich ein wenig besser kennen.
Eugenio Coseriu
Wieso ich so lange aushole? Nun, weil ich gestern über Eugenio Coserius Varietäten-Modell gestolpert bin. Was wir manchmal nämlich Umgangssprache oder Dialekt nennen, sind eigentlich Varietäten einer Sprache. Coseriu unterscheidet in seiner Architektur der Sprache drei Varietäten:
- diatopische Varietäten: Unterschiede in der Ausdrucksweise je nach Ort
- diaphasische Varietäten: Unterschiede in der Ausdrucksweise je nach Situation und Stil bzw. Kontext („Register“)
- diastratische Varietäten: Unterschiede in der Ausdrucksweise je nach sozialer Schicht bzw. in Bezug auf die Sprecher*innen
Ich nehme mich als Beispiel:
- Diatopisch: Wenn ich in Graz bin, dann spreche ich anders, als wenn ich in meiner alten Heimat, in Tulwitz, bin. Der Wechsel geht sehr schnell – man gebe mir einfach das Telefon und die passende Person am anderen Ende der Leitung.
- Diaphasisch: Es macht einen Unterschied, ob ich ein Paper konzipiere, meinen Studierenden etwas erkläre oder einen Fachvortrag halte.
- Diastratisch: Meine Mails an einen Vorgesetzten sehen anders aus, als meine WhatsApp-Nachrichten an Freund*innen.
Man möchte meinen, dass das alles logisch ist. Ja, wenn man ein gewisses sprachliches Gespür hat, dann sind dies keine besonderen Überlegungen. Wenn ich mir allerdings ansehe, was ich so an E-Mails bekomme… Aber das ist eine andere Geschichte.
Jugendsprache
Auslöser für diese Überlegungen und meine Gedanken an Coseriu war aber tatsächlich ein Post der Zeit im Bild auf Facebook:
Hier werden die Kandidaten zum Jugendwort des Jahres vorgestellt. Man kann übrigens auf der Seite von OeDeutsch über das Jugendwort abstimmen.
Spannend finde ich dies deshalb, weil ich ja zu den Jugendwörtern 2016 auch schon eine Learning App erstellt habe und ich Jugendsprache einfach spannend finde. Hierzu hab ich ja auch schon publiziert.
Vielleicht sind Sie ja Profi im Jahr 2017?
Hier auch ein neues Quiz für 2018:
Mit der Jugendsprache befinden wir uns im Bereich der Diastratik. Alter und Geschlecht sind der sprechenden Person zugeordnet und spiegeln sich im Soziolekt wider. Dass der Jugendsprache als solcher ein gewisser Peer-Building-Aspekt inhärent ist, scheint klar. Durch die Sprache wird ein Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt, gleichzeitig kann Sprache identitätsstiftend sein. Ich grenze mich von der Welt der Erwachsenen ein wenig ab, spreche vielleicht auch in einer – für die Außenwelt – eher unverständlichen „Geheimsprache“: eine Sprache für Insider.
Dynamik der Sprache
Gerade die Jugendsprache zeigt dabei, wie dynamisch Sprache ist und wie kreativ beispielsweise Wortbildungsprozesse sein können. Vielfach werden Wörter aus dem Englischen übernommen und fügen sich als Anglizismen in die deutsche Sprache ein. Einige Wörter sind Neologismen, die dank produktiver Wortbildungsverfahren gebildet werden – unlügbar ist hier als Beispiel zu nennen. Vielfach werden alte Wörter wieder aus dem Dornröschenschlaf geholt und teilweise mit neuen Bedeutungen besetzt. Man denke an reidig und ranzig aus dem Jahr 2016. Oder „tu normal“ oder „abloosen“ aus dem Jahr 2019.
Spätestens mit Beck (1993!) war der Loser in aller Munde und schon meine Generation hat „voll abgeloost“.
Das Einbürgern von Worten ist ja auch nichts Neues. Früher war es Französisch, heute ist es eben Englisch. Ich mag hierzu ja die Kolumne von Zwiebelfisch, Bastian Sick, aus dem Jahr 2005: Wo lebt Gott eigentlich heute? [Es gibt hierzu auch einen Beitrag auf Sicks Webseite und begleitendes Unterrichtsmaterial.]
Und wieso die Diatopik?
Das Entlehnen von Wörtern ist aber gar nicht der Punkt, auf den ich hinaus will. Ich wurde bei den Wörtern zum österreichischen Jugendwort 2019 einfach nur stutzig, da ich zwei davon schon gut kannte: Ehrenmann/Ehrenfrau bzw. nice.
Und da hätten wir dann auch das Diachrone…
Man sehe einfach hier auf die engere Auswahl zum deutschen Jugendwort 2018 oder den Beitrag Nice, Oida! Kennen Sie die Jugendwörter des Jahres 2018? aus dem Standard vom 9. November 2018. Wenig kreativ das heurige Jahr – oder ist das alles schon retro?
2018 war es in Österreich übrigens Oida… Je nach Intonation kann das Wort mit unterschiedlichen Intentionen eingesetzt werden – ein echtes Passe-Partout eigentlich:
Und ja, hier die Übersicht der Wörter, die zur Auswahl stehen in Deutschland, wenngleich es hier 2019 keine Wahl geben wird. Vielleicht kommen sie dann 2020 nach Österreich. Wir haben also Zeit, uns in die Jugendsprache einzulesen 😉
(Un)Wort des Jahres 2019
Wer übrigens das Österreichische Wort bzw. Unwort des Jahres wählen will, findet auf der Webseite der Kleinen Zeitung einen kompakten Beitrag dazu. Auf der Seite des Dudens gibt es nähere aber sehr allgemeine Informationen zum Wort und Unwort des Jahres. Hier eine schöne Aufstellung der letzten Jahre für Österreich, Deutschland und die Schweiz.