Sprachenlehren in Zeiten von Corona

Im Rahmen der Bundes-ARGE-Sitzung, die heuer virtuell stattgefunden hat, durfte ich einen Impulsvortrag zum Thema „Sprachenlehren in Zeiten von Corona“ liefern. Diesen möchten ich als Blogpost allen zur Verfügung stellen.

Das Jahr 2020 hat einiges von uns abverlangt. Physical Distancing, Home Schooling, Home Teaching, Home Office. Die Situation war für viele von uns komplett neu, von einem Tag auf den anderen waren wir gezwungen, unseren Unterricht in den Online-Modus zu stellen. Gerade der erste Lockdown hat dabei so einige Mangelzustände im System aufgezeigt, die sich unter dem Begriff Digital Divide zusammenfassen lassen.

Wenn über Digitalisierung gesprochen wird, dann befinden wir uns tatsächlich in dieser Phase und nicht in der Phase der digitalen Transformation. Es geht darum, die Lerner*innen und Lehrer*innen mit digitaler Infrastruktur (vom Computer mit Headset und Kamera bis zu einer stabilen Infrastruktur und funktionierender Software) auszustatten.

Instruktionstheoretische Überlegungen

Nähern wir uns dem Thema Online-Unterricht aus Perspektive des Instruktionsdesigns, so sticht ins Auge, dass eine pandemische Situation eine (didaktische) Herausforderung darstellt. Ich arbeite sehr gerne mit dem sog. ADDIE-Modell:

(eigene Darstellung)

Es geht von einem reflexiven und reiterativen Prozess aus, der mit der Analyse-Phase beginnt. In dieser Phase werden die Rahmenbedingung für den Unterricht und die Lehre erhoben und reflektiert. Diese Phase bildet die Basis für die weiteren Schritte. Erst wenn ich die Rahmenbedingungen abgesteckt habe, kann der Unterricht designt und dann auch die Materialien und Ressourcen entwickelt werden. Nach dem Einsatz im Unterricht erfolgt eine Evaluation, die unter Umständen ergibt, dass nicht alle notwendigen Rahmenbedingungen berücksichtigt wurden und man eine neue Analyse durchführen muss.

Quelle: Pixabay

In der aktuellen pandemischen Situation ist diese Analyse-Phase zu kurz gekommen, der Unterricht musste rasch redesignt und neue Materialien entwickelt werden. Dafür ist die Phase der Evaluierung wichtiger denn je, denn nur so kann aus der aktuellen Situation gelernt und nachhaltige Veränderungen angedacht und vor allem umgesetzt werden.

Rahmenbedingungen

Aus der Masse der Rahmenbedingungen möchte ich einen Punkt herausheben: die vorhandene Infrastruktur. In vielen Haushalten gibt es einen Computer, nicht unbedingt mit Headset und Kamera ausgestattet, je nach sozioökonomischem Hintergrund oder auch persönlichen Präferenzen, vielleicht auch gar nicht auf dem neusten Stand der Technik. Drucker fehlen in vielen Haushalten, vielfach ist „nur“ ein Smartphone zur Verfügung. Diese haben Kamera und oftmals gibt es dazu auch ein Headset. Bleibt nur das Internet (Vorhandensein, Datenvolumen, Bandbreite…), das problematisch sein kann. Vor allem, wenn man bedenkt, dass mehrere Personen gleichzeitig in Videokonferenzen sitzen müssen.

Kognitive Belastung

Ein zweiter wichtiger Punkt ist die kognitive Belastung, die sich durch das neue Setting ergibt. Die Lerner*innen und Lehrer*innen sind das neue Setting noch nicht gewöhnt. Wir lernen und lehren an jenem Ort, an dem wir auch leben. Es gibt keine räumliche Trennung, es gibt keine Distanz. Die räumliche Situation zuhause kann ablenken und belasten. Der Tisch ist nicht aufgeräumt, die Pflanzen wollen gegossen werden, die Kinder brauchen noch etwas, der Geschirrspüler piepst, die Post klingelt an der Tür. Wir setzen uns direkt nach dem Aufstehen an den

Sorgen Sie für Strukturen!

Die Lernplattform ist eine wichtige Lehr- und Lernbasis – so wie das Klassenzimmer. Beide Räume gehören eingeräumt und sollten aufgeräumt bleiben. Beide Räume sind bilden den Rahmen. Dabei ist es wichtig, dass Lerner*innen und Lehrer*innen klare Strukturen, z.B. in Form von Arbeitsbereichen auf der Lernplattform haben. Die Arbeitsaufträge müssen klar strukturiert sein, da man die Lerner*innen nicht sieht. Sie bekommen einen Arbeitsauftrag und blicken uns nicht verwirrt an, wie im Klassenzimmer.

Strukturen durch Zeitpläne

Erstellen Sie für sich und die Lerner*innen Zeitpläne. Welche Arbeit ist bis wann abzugeben? Wann stehen Sie für die Lerner*innen zur Verfügung? Wie wollen Sie kontaktiert werden? Wann sind synchrone Einheiten und wann sind asynchrone Arbeiten zu erledigen? Diese Zeitpläne helfen auch Familien, sich untereinander zu koordinieren, was vor allem dann wichtig ist, wenn es wenige Geräte für mehrere Nutzer*innen gibt.

Strukturen durch MindMaps (kollaborativ)

Im Sprachunterricht sollen die Lerner*innen ebenfalls Strukturen erlernen und strukturiert arbeiten. Dies kann kollaborativ oder individuell über MindMaps passieren (wie beispielsweise in LearningApps oder auf Coggle). Ein Mindmap kann beim Erstellen und Lernen von Vokabelfeldern ebenso helfen wie beim Schreiben eines Textes. Die einzelnen Ideen eines Absatzes werden über die Strukturen einer Mindmap aufgezeigt.

Planen Sie längerfristig!

Gerade weil die Organisation des Lernens und Lehrens im Zuhause-Modus eine andere Abstimmung erfordert als im traditionellen Modus, ist es wichtig, längerfristig zu planen – für die Lerner*innen und für sich selbst. So können Belastungsspitzen vermieden werden.

Planung durch Wochenpläne

Wenn Lerner*innen einen Wochen- oder Zwei-Wochen-Plan erhalten, können sie sich die Zeit freier einteilen. Sie sehen den Workload und lernen, sich die Zeit einzuteilen. Einen Wochenplan erstellt man beispielsweise durch eine Kanban-Liste auf Padlet oder in einer Lernplattform. Für die Lehrpersonen hilft das Erstellen von längerfristigen Plänen, die Klassen abzustimmen und sich das Feedbackgeben einzuteilen. Die Belastungsspitze kann verteilt werden.

Sammlung in Portfolios

Werden mehrere Artefakte über einen längeren Zeitraum in einem Portfolio gesammelt, haben die Schüler*innen über einen längeren Zeitraum die Möglichkeit, sich flexibel die Zeit und die Workload einzuteilen. Sie haben mehrere Fächer und somit auch zahlreiche Arbeitsaufträge parallel. Sie lernen das Arbeiten mit längerfristigen Deadlines. Für ein Portfolio kann ein Feedbackbogen erstellt werden, auf dem das Erreichen von Lernzielen abgehakt werden kann. Ein erweitertes Feedback kann dabei mündlich gegeben werden (siehe unten).

Denken Sie nicht in Präsenz!

Auch wenn durch Videokonferenzen die Möglichkeit besteht, den normalen Stundenplan auch in der virtuellen Welt umzusetzen, ist der virtuelle Raum ein anderer als der reale Raum. Mediendidaktische Überlegungen spielen eine zentrale Rolle – der virtuelle Raum ist ein medialer Raum.

Zoom Fatigue

Videokonferenzen sind jedoch anstrengender als das Lernen im realen Raum. Man trägt Kopfhörer, die auf den Kopf drücken. Man sieht alle von vorne, nicht die Rücken (wie im Klassenzimmer) gewöhnt). Dazu kommt der Stress, dass das Internet stabil genug ist. Man ist hochkonzentriert, um nichts zu versäumen. Um die Zoom Fatigue zu umgehen, ist es wichtig, unterschiedliche Medien und Methoden und vor allem auch Sozialformen zu mischen.

Digital Divide

Wenn wir Unterricht planen, sollten wir an das Konsumationsmedium Smartphone denken. Viele Lerner*innen haben nur das Smartphone zur Verfügung. Die Übungen und Aufgaben müssten somit über das Smartphone erledigbar sein. Denken wir an Arbeitsblätter in PDF-Form, entfällt dies. Die Lerner*innen, die keinen Drucker besitzen, tun sich beim Bearbeiten von PDF sehr schwer. Die Materialien müssen überarbeitet werden und so gestaltet sein, dass sie auch auf kleinen Bildschirmen funktionieren („Skalieren“).

Bleiben Sie in Kontakt!

Wenn ich im Schulhaus bin, dann laufen mir Kolleg*innen und Schüler*innen über den Weg. Man tauscht sich am Gang, zwischen Tür und Angel und auch im Konferenzzimmer bei einem Kaffee aus. Das passiert nebenbei. Im virtuellen Lernraum muss man sich diese Zeitfenster ein einplanen, es passiert nicht nebenbei. Es muss geplant werden.

Kontakt durch Gesichter

Die Schüler*innen sind es gewöhnt, uns zu sehen, wenn wir Arbeitsaufträge geben oder etwas erklären. Wir können in Videos also unser Gesicht zeigen, wenn wir Grammatik erklären oder Inhalte vermitteln wollen. Ein Arbeitsauftrag kann über Flipgrid oder auch über eine Videointegration auf ein Padlet gegeben werden. Durch das Gesicht kann Emotion und Nähe vermittelt werden.

Psychohygiene

Wir möchten auch raunzen und jammern dürfen. Lehrer*innen jammern über Schüler*innen, Schüler*innen jammern über Lehrer*innen. Es tut gut, über Erfolge und Misserfolge zu sprechen und sich auszutauschen. Diese Momente des Austauschs müssen im virtuellen Raum bewusst geschaffen werden.

Mischen Sie Sozialformen!

Im virtuellen Lernraum ist es manchmal recht einsam, vor allem weil Arbeitsaufträge eher alleine ausgeführt werden. Auch in der Klasse gibt es Einzelaufträge, aber die Schüler*innen stecken dabei doch die Köpfe zusammen und arbeiten gemeinsam. Das Mischen der Sozialform ist im Klassenzimmer normal. Interaktive und kollaborative Settings sind in Lernplattformen oft unterrepräsentiert. Kooperative Formen jedoch sind vorhanden (Forum, Glossar als Beispiele). Aber in Echtzeit wird selten zusammengearbeitet. Dies ist über ein kollaboratives Schreibpad möglich (YoPad, ZUMpad, Word Online, Google Docs u.a.) oder die kollaborativ erstellbaren Präsentationen über Prezi, PowerPoint online oder Google Slides möglich. In Videokonferenzen können die Lerner*innen in Kanäle, Break-out-Räume oder ähnlichen Strukturen zusammenarbeiten und sich austauschen.

Mündlich nicht nur schriftlich

Neben der Sozialform sollte auch der Kanal abgewechselt werden. Aufgaben werden nicht nur schriftlich abgegeben werden, sondern auch mündlich. Ich kann Arbeitsaufträge mündlich geben, ich kann Feedback mündlich geben. Es wird nicht nur gelesen sondern gehört. Als Beispiel wäre Vocaroo möglich, Flipgrid ebenfalls. Ich kann vor allem die Aussprache über diese Tools individuell trainieren und im Feedback Nähe schaffen.

Peer-Feedback und Kompetenzaufbau

Eine Möglichkeit, den Austausch zwischen den Schüler*innen zu fördern, ist das Moment des Peer-Feedbacks. Die Schüler*innen lesen Texte gegen, geben einander Feedback und wir als Lehrperson bekommen die Materialien überarbeitet. Schlampigkeiten können so umgangen werden, die Qualität steigt, die Schüler*innen lernen auch das Feedbackgeben und Feedbacknehmen.

Tauschen Sie sich aus!

Als Lehrperson ist es wichtig zu wissen, was die anderen Klassenlehrer*innen machen. Wer plant Projekte? Wer hat in der nahen Zukunft eine größere Abgabe geplant? Wer schreibt eine Schularbeit oder einen Test? In der Schule haben wir in den Pausen, in den Freistunden und auch sonst Möglichkeiten, sich auszutauschen und abzustimmen.

Virtueller Kaffee

Eine einfache Möglichkeit in Austausch zu treten ist ein virtueller Kaffee, den man wöchentlich in den Kalender einträgt. Jede*r, der/die Zeit hat, kommt vorbei. Man spricht über die Erfolge und Misserfolge und teilt Projekte mit.

Sharing is caring

Gerade in einer pandemischen Situation ist es wichtig, sich die Zeit und Ressourcen gut einzuteilen. Der Austausch von Materialien und Methoden ist dabei umso wichtiger. Was funktioniert, was nicht. Die Materialien sollten bearbeitbar sein und offen. Das OERhörnchen als Suchplattform kann hier vielleicht weiterhelfen.

Verwenden Sie Vorhandenes!

Open Educational Resources und offene Übungen, beispielsweise bei den LearningApps, auf Quizlet oder Quizizz, sind bereits vorhanden und warten auf den Einsatz im Unterricht. Sie müssen überarbeitet werden und angepasst an das eigene Bedürfnis.

Lernentrotzcorona.at

Was gibt es überhaupt? Es gibt zahlreiche Plattformen, die sich das Sammeln von Ressourcen zum Ziel gesetzt haben. Eine davon ist die Seite Lernentrotzcorona.at, heute lernendigital.at, die von der PH Niederösterreich im März 2020 kurz nach dem ersten Lockdown ins Leben gerufen wurde. Hier sind unterschiedliche – technische, administrative, inhaltliche und didaktische – Materialien und Ressourcen zu finden, vor allem aber auch Erfahrungswerte.

Sharing is caring

Und hier kommt das Teilen wieder ins Spiel. Wenn ich meine Materialien nicht weitergebe, immer nur konsumiere, dann wachsen die Ressourcenpools nicht und bleiben klein. Als Beispiele seien die Eduthek und EduTube genannt.

Weniger ist Mehr!

Betrachtet man die kognitive Belastung der Schüler*innen und Lehrer*innen, so lässt sich ein Rat geben: Weniger ist Mehr! Die Schüler*innen müssen sich an das neue Setting gewöhnen, die Lehrer*innen ebenfalls. Das Tempo ist am Beginn langsamer.

Medienvielfalt

Dies trifft auch die Medien. Eine Videokonferenzplattform pro Schule, eine Lernplattform pro Schule. Sucht man nach digitalen Werkzeugen, sollte man wenige verwenden und diese dafür intensiv. Dafür sollten sich die Lehrer*innen in die Tools einarbeiten und den vollen Umfang ausnützen.

Überfordern Sie nicht!

Verwendet man zu viele digitale Werkzeuge und Methoden, kann es zu einer Überforderung der Schüler*innen kommen. Unser Gehirn hat einen Arbeitsspeicher („Arbeitsgedächtnis„), der langsamer wird, umso mehr er belastet wird. Wir können nur eine gewisse Anzahl an Reizen verarbeiten.

Can Do

Wichtig ist, dass klar ist, welcher Output erwartet wird. Die Arbeitsaufträge sollten im Online-Bereich klarer ausformuliert werden. Man erkennt keine Unsicherheiten der Schüler*innen. Im Unterricht erklärt man Dinge auch mehrfach und unterschiedlich. Dies gilt im Online-Unterricht ebenfalls. Zentral ist dabei, dass klar ist, wohin man will. Was sollen die Lerner*innen am Ende wissen oder können. Die Lernzieltaxonomie von Bloom vor allem in der Version von Anderson und Krathwohl hilft uns im kognitiven Bereich, daneben gibt es aber auch den motorischen und den affektiven. Und dabei ist wieder zentral, dass man nur das überprüft, was man auch im Unterricht trainiert hat: Constructive Alignment.

Bekannt trifft Unbekannt

Hat man einen bekannten Inhalt, kann man neue Medien/Methoden anwenden. Hat man einen neuen Inhalt, sollte man alte Medien/Methoden verwenden. Neuer Inhalt mit neuen Medien und/oder neuer Methode – das überfordert. Manchmal ist es demnach auch wichtiger, die neuen Methoden und Medien zu erklären, das Arbeiten damit zu trainieren. Dabei sollte nie davon ausgegangen werden, dass die Medien und Methoden bekannt sind (siehe Rahmenbedingungen analysieren). Lieber ein Mal mehr erklären – sonst wird ev. per Mail nachgefragt und der Posteingang geht über.

Aktivieren Sie Ihre Lernenden!

Binden Sie die Lernenden aktiv in das Geschehen ein. Lassen Sie Inhalte ausarbeiten und präsentieren – Lernen durch Lehren ist ein etablierter Ansatz im nachhaltigen Lernen. Gleichzeitig werden so neben den linguistischen Kompetenzen auch beispielsweise Methoden- und Medienkompetenzen trainiert.

Der Weg ist das Ziel?!

Auch wenn es viel Zeit in Anspruch nimmt Feedback ist wichtig, um sich und die eigene Interlanguage („Lernersprache) weiterzuentwickeln. Wird eine Arbeitsleistung nicht honoriert (durch z.B. Feedback), kann es dazu führen, dass diese Leistung nicht mehr erbracht wird, weil es ja eh egal ist. Darüber hinaus ist die Entwicklung nicht unterstützt. Wenn die Schüler*innen bereits Expert*innen wären, müssten sie es nicht mehr lernen. Sie produzieren etwas, machen Fehler, bekommen Feedback und entwickeln sich weiter: formative Assessment. Der Weg ist dabei das Ziel – dieses Feedback lässt sich in autokorrektive Übungen wie auf Learning Apps oder Quizlet einbauen oder aber auch mündlich – über Vocaroo – geben. Auch die Ideen und Zugänge des Constructive Alignment sind hier zu beachten.

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